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Ich ging …

Ich ging in einem Wald spazieren. Es war Mitte Oktober und es hatte ein paar Tage vorher ausgiebig geregnet. Entlang meines Weges standen Pilze. Einzeln und in Kohorten, direkt am Wegesrand, unter den Farnen, auf mit schwarzer Erde bedeckten Steinwällen, zwischen den verzweigten Baumwurzeln. In allen erdenklichen Brauntönen, glänzendem Schwarz, in tiefem Violett, strahlendem Weiß und in leuchtendem Geld oder Orange. Ich erkannte nur den stets alleinstehenden märchenhaften Fliegenpilz. Die anderen fotografierte ich, um sie später bestimmen zu können. Es stellte sich heraus, dass einige dieser Wegbegleiter hochgiftig waren. Hätte ich auch nur ein Stückchen davon probiert, wäre ich qualvoll gestorben.

 

Ein Schauer überkam mich. Ich war so dicht an diesen potentiellen Todbringern vorbeigelaufen. Eine Berührung hätte vielleicht schon fatal sein können. Diese Gedanken wiederum fand ich bemerkenswert. Wieso, fragte ich mich, macht die Tatsache, dass ein Pilz tödlich ist, ihn für mich attraktiver als ein harmloser Artgenosse?

Ich weiß, alles, was unser Interesse weckt, zeigt irgendwann auf uns zurück. Und ja, dachte ich, ich schaue hier mögliche Todesbringer an; schaue auf die Gefahr und die Bedrohung, die überall lauert. Diese gefährlichen Pilze geben meinem Leben Bedeutung, weil sie es bedrohen können. Sie spiegeln auf mich zurück, was ich vermutlich bin: ein schwankendes Etwas, dessen Wohl von Zufällen und Glück abhängt. 

 

Es gibt nicht viel, was das Leben komplizierter macht, als die menschliche Manie in allem eine Bedeutung zu suchen. (Meistens die eigene). Der Gedanke, mit diesem Drang könne zusammenhängen, dass wir so eifrig richten, uns empören und so wütend werden können, beschäftigt mich schon lange.

 

Gerade habe ich wieder einen Bericht über den USA-Wahlkampf gelesen. Auf der Seite der Republikaner scheint kurz vor der Wahl mancherorts ein geradezu wahnhafter Zorn zu herrschen. Biden-Poster werden aus den Vorgärten gerissen, Menschen mit Biden-Stickern auf offener Straße übel beleidigt und bedroht etc.

Es sind nicht nur weiße Männer ab 50. Aber es sind fast immer weißer Männer. Und ihre Meinungen sind voller Wut und Ressentiments. Fast immer sind sie gnadenlos.

 

Spüren sie, dass ihre Zeit vorbei ist? Die Zeit, in der sie uneingeschränkt bestimmen, sortieren und unterdrücken konnten, was ihnen nicht genehm war? Die Zeit, in der sie ausreichend Geld verdienten, Jobs hatten und damit eine Bedeutung, deren Wert sie absehen konnten?

 

Der Wandel ist ein Element unserer Existenz. Er ist immanent, eben auch besonders im kapitalistischen System, dem es nicht um Tugenden oder Moralitäten geht. Viele dieser Leute huldigen mit Trump einem Apologeten des Kapitalismus, welcher ihnen ja die Bedeutung erst genommen hat. Diese Wirtschaftsordnung hat sie im Regen stehen lassen und ihnen nicht geholfen zu lernen wie man sich von alten, unwiederbringlichen Bedeutungen lösen kann. 

 

Sie huldigen einem Narzissten, der ihre Wut genauso benutzt, wie es Faschisten tun.

Make america great again war ein Verzweiflungsruf. Und damit er nicht heiser klingt sondern kämpferisch, muss er auf die anderen verweisen, die daran schuld sind, dass Amerika nicht mehr groß ist. So wird die eigene Bedeutung an die Schuld der anderen geknüpft.